Texte
zusammengefasst von Samuel Widmer
David Bohm gilt auf seinem Gebiet der theoretischen Physik als einer der grossen Denker des 20. Jahrhunderts. Er hat mehrere Bücher, vor allem auch philosophischer Natur, verfasst, unter denen vor allem Die implizierte Ordnung: Grundlagen eines dynamischen Holismus herausragt. Er war einer der wichtigen Schüler Krishnamurtis
verfasst von Cornelia Principi
Interkulturelle Kommunikation ist ein Thema, das uns in jeder Begegnung mit neuen oder anderen Kulturen betrifft. Persönlich befasse ich mich seit meiner frühen Jugend mit fremden Kulturen. Zudem bin ich leidenschaftlich gerne unterwegs. In Mexiko begegnete ich vor über dreißig Jahren zum ersten Mal Menschen, die ich überhaupt nicht einordnen konnte: die Lakandon, ein indigenes Volk, das von den alten Mayas abstammen soll. Damals sprachen die meisten von ihnen noch kaum ein Wort Spanisch. Sie haben in mir das Interesse an einer Sprache geweckt, die jenseits von Linguistik liegt. Einer Sprache, die von Menschen zu Menschen gesprochen wird, nicht von Bildern zu Bildern, nicht von einer Gringa zu einer Indigena. Es war nicht nur die Sprache, die uns unterschied, es war alles anders. Ihre ganze Erscheinung, die Kleidung, die Bewegung, der Blick und ihre Scheu stellten mich vor ein unbekanntes Phänomen. Die Suche nach dem Menschen hinter der Maske von Kultur und Religion sollte mich fortan nicht mehr loslassen.
Mich packte die Auseinandersetzung in der Begegnung mit Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen genauso wie die Problematik, dass kulturelle Unterschiede zum Krieg führen können.
In der Schweiz gibt man sich zur Begrüßung die Hand, in Japan verbeugt man sich respektvoll voreinander und in Indien hält man die Hände auf Brusthöhe zusammen und neigt den Kopf. Ein Begrüßungsritual macht noch keine Kultur aus. Die Kultur, in der ein Mensch lebt, ob Nation, Freundeskreis oder Arbeitsumfeld, kann einen großen Einfluss darauf haben, welche Identität er für sich persönlich formt. Das kann wundervolle Früchte tragen. Doch unvorteilhafte Auswüchse kommen durch dieses Phänomen ebenso zustande. Das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft reicht weit zurück. Die Geschichten unserer Ahnen können Auswirkungen auf das Denken und Verhalten haben. Prägungen können uns unter Umständen gefährlich spalten und im Extremfall zum Krieg führen. Wir werden zu Anstand und bestimmten Verhaltensregeln erzogen. Die Fähigkeit, wahrhaftig über das zu sprechen, was uns wirklich bewegt, ist uns nicht in die Wiege gelegt worden. Es ist wichtig zu verstehen, dass der Charakter, der aus den Eindrücken, die man aus der Welt aufnimmt, entsteht, nicht unsere Wesensnatur ist. Die Kultur ist sozusagen die Vorratskammer, gefüllt mit Annahmen aus unserem sozialen Umfeld, die uns mit Interpretationen speist.
Es erfordert einiges an Mut, allein in einer fragmentierten Welt zu stehen, alles zu hinterfragen und jegliche Zugehörigkeit abzulehnen. Lieber verstecken wir uns hinter der Maske einer Gruppierung.
David Bohm hatte, unter anderen, diese Problematik erkannt und eine Kommunikationsmöglichkeit entwickelt, mit der kulturell oder familiär bedingte Unterschiede anerkannt und überwunden werden können. Den Dialog sieht Bohm (1998) als Mittel, die Umstände, mit denen sich die Menschen konfrontiert sehen, zu ergründen. In dieser Art von Dialog hat man die Möglichkeit zu beobachten, wie verdeckte Wertungen aus unserem Umfeld das Verhalten bestimmen und wie kulturspezifische Differenzen aufeinanderprallen, ohne dass wir normalerweise merken, was sich abspielt. Daraus folgerte Bohm die Notwendigkeit der Eigenwahrnehmung im Bereich des Denkens. Sich gewahr zu sein, wie sich das Denken in uns bewegt und daraus ein ganzes Leben schöpft. Dem individuellen und dem kollektiven Denken auf die Spur zu kommen, ist das eigentliche Ziel eines Dialogs. Den Dialog zu praktizieren, ist zwar so alt wie die Zivilisation selbst, David Bohm versuchte ihm aber seine Tiefe zurückzugeben, die im Zeitalter der Debatte und Diskussion abhandengekommen ist. Für Bohm ist der Dialog ein vielschichtiger Prozess, der über die typische Vorstellung von Gespräch und Gedankenaustausch weit hinausgeht. In seinem tiefsten Sinn ist der Dialog also eine Einladung, die Lebensfähigkeit traditioneller Definitionen dessen zu überprüfen, was es bedeutet ein Mensch zu sein, und kollektiv das Potential für eine weitere menschliche Entwicklung zu erforschen. Bohm lag das Kommunikationsproblem, von dem unser ganzes heutiges Leben betroffen ist, sehr am Herzen.
In vielen Jahren der Arbeit mit und in Gruppen habe ich diese Art von Aufmerksamkeit füreinander in der Kommunikation gesucht und habe ich folgendes Phänomen selbst erlebt: Wenn wir als Gruppe in einem Kreis zusammenkommen, entwickeln wir eine gemeinsame Energie. Während wir uns auf diese Energie konzentrieren, begegnen wir einander auf einer neuen Ebene. Als Höhepunkt erkennen wir an, Teil von etwas Größerem zu sein. Dies gibt uns Klarheit, unser eigenes Denken zu beobachten, unsere eigenen Gefühle wahrzunehmen und unsere Körpersprache zu erkennen. So schauen wir immer tiefer in uns selbst und lernen uns auf verschiedenen Ebenen kennen. Darin werden wir freier und können uns lösen von verkrusteten Vorstellungen über uns selbst, unser Heimatland, irgendeine Identität, religiöse Annahmen und andere Meinungen, die eine echte Begegnung behindern.
Einleitung
Es mag unwahrscheinlich klingen, aber den Auftrag, buddhistische Nonnen in Indien zu unterrichten, habe ich in einem Traum erhalten. Am nächsten Morgen habe ich im Internet gegoogelt und tatsächlich ein Projekt namens «science meets dharma» gefunden. Dort habe ich mich schriftlich beworben. Nie hätte ich eine Antwort erwartet, da ich weder Naturwissenschaftlerin bin noch eine werden wollte. Binnen Wochenfrist rief mich der Leiter des Projekts an und meinte, solche Träume seien ernst zu nehmen. Leider brauche seine Organisation tibetisch sprechende und vorwiegend männliche Lehrer. Er vermittelte mir aber an eine amerikanische Stiftung, die Lehrerinnen für buddhistische Klöster in Nordindien anwarben. Also wandte ich mich ein paar Wochen später an die Kontaktperson in Holland. Scheu schilderte ich meinen Auftrag aus dem Traum, den Dialog in ein buddhistisches Kloster einzuführen. Die Holländerin erkundigte sich nach der Wirksamkeit des Dialogs. Sie erzählte mir von der Situation der Nonnen, von der Geschichte des weiblichen Buddhismus und dass die Frauen in der Führung aus den zwei ethnischen Gruppen Spiti und Kinnaur nicht immer konfliktfrei seien. In meiner Antwort schilderte ich ihr meine Erfahrungen mit dem Dialog. Ich erzählte vom Prozess in die Tiefe des Bewusstseins, in dem Wertungen und Annahmen, die unser Denken und Handeln beeinflussen, aufgestöbert werden. Ein Dialog könne Verständnis füreinander wecken und einen Weg eröffnen, die Standpunkte der anderen anzuerkennen.
Umgehend bekam ich den Auftrag, den Dialog mit den Nonnen im Kloster in Bodhgaya einzuführen. So kam ich also zu diesem Projekt und während meines Aufenthalts in Indien entschied ich mich, die Diplomarbeit darüber zu schreiben.
Mit dieser Arbeit möchte ich den Prozess des Projekts, angefangen mit dem Traum mehr als ein Jahr nach der Ausbildung bis hin zum Dialog mit buddhistischen Nonnen beschreiben. Zur Vorbereitung nutzte ich die Lerninhalte und Erfahrungen aus den Dialogen in der Zürcher Gruppe. Einsichten sowohl von Martin Buber und David Bohm als auch von Jack Zimmermann und Virginia Coyle habe ich mit einbezogen und mir erlaubt, sie den jeweiligen Umständen anzupassen. Die Form, in einem Kreis zu sitzen und zu reden, ist aus nahezu allen alten Kulturen bekannt. Daher ist das Erleben eines morphogenetischen Feldes möglich, einer Art Energiefeld, das zu wirken beginnt, sobald sich Menschen zusammen in einen Kreis setzen. Die Dynamiken, die in ihren Werken beschrieben sind, decken sich mit meiner Wahrnehmung eines immer wieder aufkommenden Phänomens während einem Dialog. Einem Zauber, den man nicht beschreiben kann, den man nur für sich selbst empfinden kann.
Mein Einsatz als Dialogbegleiterin sollte fünf Wochen dauern und hatte das Ziel, die Frauen tiefer miteinander ins Gespräch über ihre Konflikte zu bringen.
Die Nonnen waren Meisterinnen des Debattierens, einer mir zu Beginn völlig unverständlichen Disziplin. Bis heute habe ich den Sinn noch nicht ganz verstanden. Ihr Bestreben gilt dem Loslassen von persönlichen Gefühlen. Der Weg, den der Buddhismus geht, ist der Weg der umfassenden Achtsamkeit und menschlichen Befreiung. Das Ziel, auf das er ausgerichtet ist, ist die Verwirklichung von tiefgründiger Einsicht und unbegrenztem Mitgefühl in Bezug auf alles Lebendige. Es geht darum, sich von weltlichen Dingen zu verabschieden, vom Zugriff der Menschen zu lösen und stattdessen auf die natürliche Abhängigkeit und Verbundenheit einzulassen, die immer und überall existiert.
Die buddhistische Lehre und der Dialog nach Bohm reichen sich die Hand.
Kapitel 1
Die buddhistischen Nonnen
Die Geschichte der buddhistischen Nonnen in der tibetischen Tradition ist sehr lang, aber ebenso wie die Geschichte der Frauen in anderen Teilen der Welt weitgehend unbekannt. Zur tibetischen Kulturregion gehören neben Tibet selbst auch die Himalaya-Grenzregionen Kinnaur, Ladakh, Lahaul, Spiti und Zangskar sowie die tibetischen Gemeinschaften im Exil in Indien, Nepal und anderen Ländern.
Die Mehrheit dieser Nonnen praktiziert kontemplative Praktiken einschließlich Meditation und tantrischer Ritualpraktiken der Vajrayana-Tradition. In der tantrischen Tradition wird angenommen, dass eine Person in diesem Körper, in diesem Leben erleuchtet werden kann.
Während der gesamten buddhistischen Geschichte gab es große buddhistische Nonnen. Ihr Leben wurde im Allgemeinen von denen der Mönche überschattet. In patriarchalisch-buddhistischen Gesellschaften, in denen männliche Kinder in Familien, Schulen und Klöstern bevorzugt werden, mussten weibliche Kinder um Nahrung, Gesundheitsversorgung, Bildung und das Recht auf ein kontemplatives Leben kämpfen. Obwohl buddhistische Frauen das religiöse Leben seit jeher verfolgen, wurden sie kaum unterstützt. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich ein neues Bewusstsein für die Ungleichheiten zwischen Nonnen und Mönchen entwickelt und es werden Änderungen vorgenommen, um diese aufzulösen.
Die Jamyang Foundation unterstützt mit Bildungsprojekten indigene Mädchen und Frauen in den bedürftigen Tälern des indischen Himalayas und der Chittagong Hill in Bangladesch. Diese Projekte fördern das Lernpotential von Frauen, indem sie allgemeine Bildung für die moderne Welt mit traditioneller buddhistischer Weisheit verbinden.
Die jungen Frauen im Sanghamitra Institut stammen alle aus abgelegensten Teilen dieser Erde, aus dem Himalaya Gebirge. An diesen Orten geht es in erster Linie ums Überleben. Aufgrund starker Schneefälle ist das Leben insbesondere von Frauen im Himalaya voller Mühsal. Kommunikation mit der Aussenwelt ist die meiste Zeit des Jahres unmöglich. Wirtschaftliche Schwierigkeiten führen dazu, dass viele Männer in den Städten Arbeit suchen und Frauen die schwere Verantwortung von Familie und Feldern allein tragen. Während der intensiv kalten Wintermonate wenden sich viele dem Kunsthandwerk und der buddhistischen Praxis zu – Meditation, Lehren und Gebet. Spirituelle Praxis ist das Zentrum ihres Lebens und der Schlüssel zum Glück für ihre Familien. In der Regel wird ein Nachkomme, ob Junge oder Mädchen, in ein Kloster geschickt, um die buddhistische Tradition weiterzutragen. Dort werden die oft noch kleinen Mädchen zu Nonnen erzogen und ausgebildet.
Die Nonnen, die ich kennengelernt habe, leben in weit verstreut liegenden, abgelegenen Klöstern im Himalaya Gebirge Nordindiens. Den Winter hingegen von Ende Oktober bis Ende März verbringen sie in dem eigens für sie erbauten, im Jahr 2012 eröffneten Sanghamitra Institut in Bodhgaya im Staate Bihar.
Das Institut
Im Sanghamitra-Institut strukturieren die Nonnen ihren Tag nach strengen Regeln. Der frühe Morgen beginnt mit Puja und Gebeten. Nach dem Frühstück werden tibetische Verse auswendig gelernt und rezitiert. Danach folgt eine Stunde Debattieren. Dann ist der Unterricht der englischen Sprache eingeplant. Eine Australierin, eine Frau aus Singapur und ein Vietnamese waren während meiner Anwesenheit dafür zuständig.
Die jungen Frauen und Mädchen leben in einem geräumigen Gebäude jeweils zu fünft in einem Raum. Das Nonnenkloster erinnerte mich an ein Mädcheninternat. Durch die geschorenen Köpfe und die roten Roben unterschieden sie sich optisch von gewöhnlichen Mädchen. Auch die Lebensentwürfe der jungen Frauen gestalteten sich anders. Erstaunlicherweise waren sich alle sicher, mit dem Ablegen eines Gelübdes in so jungen Jahren die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Selten kommt es vor, dass sich jemand verliebt und den Weg einer Familienfrau gehen will.
Viele Nonnen wünschen sich, später ähnliche Studienprogramme für andere zu schaffen, sowohl in ihren Heimatländern als auch in anderen bedürftigen Gebieten. Bildung und Kommunikation mit anderen Kulturen verändert die Wahrnehmung der Frauen im Himalaya. Beides trägt dazu bei, die buddhistische Kultur in Gebieten zu bewahren, in denen sie aufgrund von kulturellen Eingriffen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten gefährlich abnimmt. Die Studentinnen unterschiedlicher ethnischer Herkunft entwickeln einen starken Sinn für das Gefühl, gemeinsam auf einem Weg zu sein.
Es ist früh am Morgen, und die Kälte ist in allen Gliedern. In der ersten Nacht hatte ich das Gefühl, ich würde sterben, weil es so kalt und das Bett so hart war. Die feuchte Luft drang in meine Gelenke ein. Es ist wichtig, mit dem Wasser vorsichtig umzugehen. Die Hygienestandards sind auf einem niedrigen Niveau. Wie wichtig doch die Grundpflege ist und wie selbstverständlich sie für uns ist! Zum Glück kann ich gut damit leben, wenn eine warme Dusche nur eine angenehme Erinnerung an vergangene Tage ist.
Kapitel 2
Woche eins
Hilfe und Hindernisse bei der Einführung in den Dialog
Neben dem reibungslosen und erstaunlich freudvollen Ablauf des Alltags ergaben sich doch ein paar Ungereimtheiten. Nicht immer gelang es den älteren Nonnen, die „disciplin nuns“ genannt werden, sich durchzusetzen. Hygienevorschriften, Essensgewohnheiten, Schweigezeiten beim Essen und andere strenge Verhaltensweisen erreichten oft nicht den hohen Maßstab einer Ordnung, die einem Kloster gebührt. Zudem gingen die Meinungen bei alltäglichen Fragen, ob die kleinen Mädchen an den Meditationen teilnehmen sollen oder ob sie an ihrem freien Tag in den nahegelegenen Ort dürfen, auseinander. Es handelte sich um Kleinigkeiten, die in einem Haus mit fünfzig Frauen im Alter von fünf bis dreiunddreissig Jahren doch ins Gewicht fallen. Die älteren Nonnen mussten neben der Gewährleistung eines reibungslosen Ablaufs des klösterlichen Lebens noch die Rolle einer guten Mutter erfüllen.
Die Mädchen und jungen Frauen kennen keine sozialen Medien, sie sind weder auf Instagram noch auf Facebook zu finden. Ihre Augen sind nicht dauernd auf ein Display gerichtet und ihre Finger tippen noch nicht auf den digitalen Tastaturen eines Handys herum. Sie kichern nicht hinter dem anderen Geschlecht her und stehen nicht stundenlang verzweifelt vor dem Spiegel aus Angst, sie seien zu dick. Essstörungen wie Anorexie kennen sie nicht. Bei einigen war der Hunger in ihrer Kindheit real. Prominente wie Michael Jackson und Rihanna sagen ihnen nichts.
Eine Person kennen sie allerdings alle; sie ist neben den Eltern die Wichtigste in ihrem Leben – der Dalai-Lama. Seine Heiligkeit gibt ihrem Leben Ausrichtung. Er ist ihnen Vorbild, weil er Warmherzigkeit, Mitgefühl und Vergebung vorlebt.
«Die Zukunft jedes Einzelnen ist von anderen abhängig. Die Technologie hat uns wie eine Familie zusammengeführt. Wir sehen uns immer noch in Begriffen wie ‚wir’ und ‚sie’, obwohl alle zur menschlichen Gemeinschaft gehören. Es liegt in unserer Verantwortung von Menschen verursachte Probleme, wie den Krieg zu beseitigen. Obwohl wir uns im 21. Jahrhundert befinden, in einer Ära beispielloser Kommunikation, scheinen wir immer noch der Meinung zu sein, dass Anwendung von Gewalt zur Lösung unserer Probleme führt. Das ist ein Fehler. Probleme müssen durch den Dialog angegangen werden, indem wir einander zuhören und einen gewaltfreien Ansatz verfolgen.» (Dalai-Lama, Januar 2020)
Diese Worte hatte der Dalai-Lama am Tag, bevor ich die erste Lektion im Sanghamitra Institut hatte, an die Nonnen gerichtet. Seine Worte erleichterten mir die Einführung in den Dialog, den die Nonnen in diesem Sinne noch nicht kannten. Seine Worte sind Gesetz und was der Dalai-Lama sagt, ist wahr. So wurden sie neugierig und wollten sich darauf einlassen.
Eine Hürde, die wir mit dem Unterfangen Dialog zu überwinden hatten, war die Sprache. Bevor wir mit dem Kern unserer Absicht beginnen konnten, mussten wir uns verständigen können. Die meisten Schülerinnen verfügten über ein spärliches Vokabular in der englischen Sprache und ich verstand weder Hindi noch Tibetisch. So begannen wir unsere Reise mit dem Entdecken der Gefühle, indem wir sie ins Englische übersetzten.
Am ersten Tag schenkte ich allen einen goldfarbenen Kugelschreiber und ein Heft, in das sie Arbeitsblätter einkleben und wichtige Schritte unseres Prozesses festhalten sollten. Abgesehen von ihrer Robe und ein wenig Wäsche haben die Nonnen kaum eigenen Besitz.
An dieser Stelle muss ich noch die niedrigen Temperaturen erwähnen, die für mich zumindest zu Beginn erschwerend auf unser Zusammensein wirkten. Bodhgaya erlebte die kältesten Tage seit Jahren und niemand war darauf vorbereitet. Die Nonnen konnten sich problemlos der Kälte hingeben. Unbekümmert rückten sie in den Kreis in meinem Zimmer auf dem Boden nah zusammen und waren neugierig, was jetzt kam.
Einfache Wortspiele füllten die ersten Stunden. Erkennen, benennen und verstehen von Gefühlen, indem sie Fragen nach ihren Vorlieben und Abneigungen beantworten mussten. Sprachschwierigkeiten gepaart mit Schüchternheit bewirkten, dass wir oft stumm dasaßen und kicherten.
Die Patronin des Klosters, Gründerin des Instituts, Amerikanerin und buddhistische Nonne Karma Lekshe Tsomo war erst skeptisch, als ich ihr von meiner Absicht, mit den Nonnen über ihre Gefühle zu sprechen, erzählte. Es erschien ihr genauso egoistisch wie der Psychorummel, der weltweit grassiere. Es war nicht leicht, ihrem hohen Anspruch von Selbstlosigkeit gerecht zu werden.
Wieder erklingen die Klänge des Rezitierens endloser Dharmatexte über das Gelände. Die Nonnen sind schon lange wach und ihre Stimmen verzaubern den Morgen, der immer noch von einem Dunstschleier verhüllt ist. In den ersten Tagen meines Aufenthalts in Bodhgaya war die Sonne ein seltener Gast, wenn sie überhaupt auftauchte. Nirgendwo in den Räumen des Gebäudes, das ideal für heiße Tage gebaut wurde, wurde es warm genug, um sich auf den Unterricht konzentrieren zu können. Aber den Nonnen schien es nichts auszumachen. Ihr „Good morning, Ma’m“ klang so unbeschwert und freundlich, dass mein Selbstmitleid trotz der Kälte in ihrer Herzenswärme schmolz. Es ist schwer in Worte zu fassen, wie die Wesen der jungen Frauen mich vom ersten Moment an tief berührten.
Woche zwei
Gefühle
Die Versammlungen um den Dalai-Lama in Bodhgaya gingen zu Ende. Die Nonnen waren frisch motiviert, den Dialog zu erproben und konzentrierten sich auf die Lerninhalte. Fleissig notierten sie, was ich ihnen auftrug, und gaben sich Mühe, richtige Sätze in Englisch auszusprechen.
In dieser Woche wurden sie eingeladen, von sich zu erzählen und dabei auf ihre Empfindungen zu achten. Der „talking stick“ wurde von Person zu Person im Uhrzeigersinn weitergegeben, bis jede Einzelne gesprochen hatte. Ich leitete sie an, einfach zur Kenntnis zu nehmen, was sie wahrnahmen.
Mit Hilfe des Eisbergmodells veranschaulichten wir oberflächliche und tieferliegende Gefühle. Sonst gab ich keine theoretischen Inputs. Gemeinsam durchwanderten wir Täler und Hügel der Gefühlswelt. Hineinspüren, entdecken und herausfinden dürfen. Wie fühlt sich Wut an? Was ist Enttäuschung und wie reagiere ich, wenn ich verletzt bin? Wir benutzten das Bild der Muschel, in deren Gehäuse wir tiefer und tiefer eindrangen. Behutsam lauschten wir in den Raum und scheu nahmen wir wahr, wie verletzlich wir alle sind.
Allmählich gelang es den Teilnehmerinnen zu beobachten, was sich in ihrem Inneren bewegte. Durch ihre tägliche Meditationspraxis waren sie geübt, still zu sitzen und ihren Gedanken zu folgen. Die Energie im Kreis begann ungehindert zu fliessen und zeitweilig wurde es so still, dass wir fast die Gedanken voneinander hören konnten. Es flossen Tränen ohne Worte. Ein Gespräch kann auch aus einem mitteilenden Schweigen bestehen. Oder im Schweigen kann man verstehen lernen.
«Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Fantasie; und das Gedächtnis selbst verwandelt sich, da es aus der Vereinzelung in die Ganzheit stürzt. Zwischen Ich und Du steht kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme; und die Sehnsucht selbst verwandelt sich, da sie aus dem Traum in die Erscheinung stürzt.» (Buber 2009, S. 17)
Woche drei
circle talk
Nach zwei Wochen des Kennenlernens musste ich einsehen, dass der Dialog nach Bohm zu anspruchsvoll für die jungen Frauen war. Stillsitzen und die Gedanken beobachten gelang ihnen mühelos. Ein meines Erachtens weiterer wichtiger Faktor im Bohm’schen Dialog, „das Suspendieren von eigenen Annahmen“, war ihnen aber zu abstrakt. Sie verstanden nicht, was ich damit meinte. Vermutlich war die Aussicht, möglicherweise ihren Glauben in Frage stellen zu müssen, beängstigend. In ihrem Verständnis ist die buddhistische Lehre nicht eine Betrachtungsweise, die man an eine Leine hängen kann, sondern sie ist ihr Leben. Sie waren zu jung, um das abstrahieren zu können. So brachen wir den Dialog, wie es in meiner Vorstellung nach Bohm sein müsste, in ein Gespräch im Kreis hinunter und nannten es für unseren Zweck „circle talk“. Die Begriffsfindung war naheliegend, denn wir sassen die ganze Zeit im Kreis und redeten.
Was ist mit „circle talk“ gemeint?
Genau wie der Dialog zeichnen sich „circle talks“ durch die Verwendung eines „talking sticks“ aus, der die Kommunikation regulieren soll. Sowohl das Sprechen als auch Zuhören ist im Kreis wichtig, weil gegenseitiges Verständnis die Grundlage für tiefe und wesentliche Gespräche ist. Der grundlegende Zweck eines „circle talk“ ist, einen sicheren, nicht wertenden Ort zu schaffen, an dem jede Teilnehmerin die Möglichkeit hatte, zur Erörterung schwieriger und wichtiger Fragen beizutragen. Die Absicht, einen sicheren Ort zu bieten für nährende Gespräche, beinhaltete auch die Offenheit, sich einem Prozess hinzugeben, ohne ein bestimmtes Ergebnis zu erwarten. Das war anspruchsvoll genug.
Wir beschlossen, die Gruppen zu verkleinern. Jeden Morgen um 10:00 Uhr und jeden Nachmittag um 15:00 Uhr versammelte sich je ein Viertel der älteren Nonnen in einem Kreis zu sechst. Die Frauen waren von dieser Form sehr angetan und bemühten sich, pünktlich zu erscheinen und sich still in den Kreis zu setzen.
Der Kreis diente uns fortan als Treffpunkt, an dem wir einander zuhören und über unsere Gefühle sprechen konnten. Die Mitte unseres Kreises, geschmückt mit Blumen und einer Buddha-Figur, war das Gefäß, der Container. Sobald ich ihnen die Bedeutung des „talking sticks“ und anderen Dynamiken, die im folgenden Abschnitt beschrieben werden, erklärt hatte, wurde der Prozess durch eine einfache Eröffnungszeremonie markiert. Von diesem Moment an durften nur diejenigen sprechen, die den „talking stick“ hielten. Die anderen wurden eingeladen, sich ganz auf diese Person zu konzentrieren.
Langsam begannen die Nonnen, Geschichten zu erzählen. Eine junge Frau teilte mit uns ihren Schmerz, den Vater an eine andere Frau verloren zu haben. Er hatte der Mutter die schwere Arbeit mit den jüngeren Geschwistern, den Tieren und dem kargen Feld überlassen. Sie lebten in tiefer Armut und das Mädchen litt an ihrem schlechten Gewissen, weil sie es im Kloster guthatte. Die Anteilnahme ihrer Freundinnen im Kreis und die Vergewisserung, dass sie nicht die Verantwortung für die Entscheidung ihres Vaters trug, halfen dem Mädchen. Zuvor hatte sie niemandem davon erzählt.
In das Heft hatten wir folgende fünf Prinzipien als wichtigste Punkte eingetragen und uns bei jedem Zusammentreffen vergegenwärtigt.
Sprich aus dem Herzen
Die erste Absicht war, „aus dem Herzen zu sprechen“.
Das bedeutete, nicht nur aus dem Kopf und seinen Ideen, sondern auch aus seinen Gefühlen zu sprechen. Es bedeutete, seine eigene Geschichte so ehrlich zu erzählen, wie man es vermochte, sich im Moment in dieser Gruppe darauf einzulassen. Wir alle haben unzählige bedeutungsvolle Erfahrungen gemacht im Leben. Wenn wir über sie wahrheitsgemäß sprechen, sprechen wir aus dem Herzen.
Mit dem Herzen hören
Die zweite Absicht war, „mit dem Herzen zu hören“, wenn eine andere Person den „talking stick“ hatte. Das bedeutete, dass man ohne Beurteilung zuhörte, auch wenn man mit dem, was die Person sagte, nicht einverstanden war. Höre nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen zu! Der Erfolg unserer „circle talks“ wurde weitgehend von der Qualität des Zuhörens der Teilnehmerinnen bestimmt.
Sei spontan
Als dritten Punkt nahmen wir uns vor, „spontan zu sprechen“. Das bedeutete zu warten, bis wir an der Reihe waren, bevor wir entschieden, was wir sagen wollten. Wenn wir darüber nachdenken, was wir sagen wollen, dann hören wir der Person, die spricht, nicht vollständig zu. Wenn wir nicht im Voraus planen, was wir sagen werden, werden wir oft überrascht sein, was aus uns hervorkommt, wenn wir an der Reihe sind.
Die Nonnen hatten keine Mühe aus ihren Herzen zu sprechen, solange es um die anderen ging. Leicht fanden sie Worte, um ihre Zuneigung auszudrücken und es war einfach, vorbehaltlos zuzuhören. Doch ihre intuitive Stimme sprechen zu lassen, frei von der Leber weg, löste ungewohnte Gefühle in ihnen aus. Es lag etwas Verbotenes darin, eigene Bedürfnisse oder gar Meinungen auszusprechen.
Themen, die wir zur Bildung von „circle talks“ verwendeten, sollten für die gesamte Gruppe von Interesse sein. Wenn das Thema beispielsweise „Spaß machte“, war das eine gute Eingabe. Ich forderte die Nonnen auf, sich eine Zeit ins Gedächtnis zu rufen, in der sie dachten: «Wow, das macht wirklich Spaß!» Dann fügte ich hinzu: «Warte auf den ‚talking stick’ und erkenne dann, welche Geschichte dir einfällt.» Ich ermutigte sie zu experimentieren, den Stock für eine kurze Weile still zu halten und die Anwesenheit ihrer Freundinnen und den Moment das hervorrufen zu lassen, was gesagt werden musste.
Wir lachten viel. Es kursierten lustige Geschichten, manchmal peinliche und dann wieder sehr berührende. In dieser Woche lockerte sich die Grundstimmung und die Nonnen fühlten sich wohl im Kreis. Sie trauten sich mehr und wurden freier in ihrem Ausdruck.
In dieser Woche hatten die Nonnen verstanden, dass der „circle talk“ eine moderne Praxis ist, deren Wurzeln tief in uralten Kulturen liegt. Sie machten die Erfahrung, dass jede Stimme einen Wert hatte, dass jede Person eine Gabe hatte, eine Geschichte, die es zu teilen galt, wenn sie noch so dürftig war.
Die Zeit war noch nicht reif, Konflikte anzusprechen. Neues zu entdecken voneinander und unsere Vielfalt zu ehren und erst noch Platz für völlig überzuckerten Kuchen und Tee zu haben – darum ging es.
Woche vier
Wirkungen
Die Anwendung des „circle talks“ zeigte seine Wirkung. Er weichte zum Teil die Bindung an lang gehaltene Positionen auf. Für die jüngeren Nonnen war dies eine erfreuliche Erfahrung, weil sie in Gegenwart einer Autorität normalerweise gehemmt in ihrem Ausdruck waren.
Für die Leiterin Tenzin Dechen war es erlösend, darauf vertrauen zu können, dass sie nichts falsch machen konnte. Den Schmerz der Einsamkeit und der Widerwille, den ihre Führungsposition manchmal mit sich brachte, den Schülerinnen zuzumuten, erforderte mehr Stärke von ihr, als mit ihrer Verzweiflung allein zu bleiben. Es entpuppte sich als Segen, so ehrlich sein zu können. War es doch der Ursprung einiger Unstimmigkeiten, mit denen die vier „elder nuns“ zu kämpfen hatten. Eigentlich fühlte sich keine der Frauen der Verantwortung gewachsen und sie lebten in der ständigen Angst, den Anforderungen der Stiftung, die sie unterstützte, nicht gerecht zu werden. Der Kreis wurde Tag für Tag mehr ein Ort, an dem sie ihre Ängste aussprechen konnten. Nicht zuletzt fanden sie in mir als Begleiterin eine Person, die ihre Nöte durchaus verstand.
Es ist wichtig hervorzuheben, dass der „circle talk“ geboren wurde, um dem Entwicklungsstand gerecht zu werden und die Ausdrucksform der jungen Frauen zu unterstützen. Das Ziel bestand darin, innerhalb der Gruppe eine Atmosphäre zu schaffen, die frei von jeder Art von Beurteilung war, in der die Teilnehmerinnen so sein durften, wie es ihnen entsprach, was die Möglichkeit einschloss, in Schweigen zu verharren und sich dafür zu entscheiden, nichts zu teilen.
Buber (2009, S. 296) weist darauf hin, «dass schweigsam bleibende ... mitunter besonders wichtig werden können.» Er beschreibt den Dialog als Zwiegespräch von Menschen, die sich einander in Wahrheit zugewandt haben, sich rückhaltlos äußern und vom „Scheinen-Wollen“ frei sind.
«Das eigentliche, wirkliche Leben findet in der Beziehung statt: Das Grundwort Ich-Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden. Die Einsammlung und Verschmelzung zum ganzen Wesen können nie durch mich, kann nie ohne mich geschehen. Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung.» (Buber, 2009, S. 17)
Einfach ausgedrückt heißt das: Es gibt kein Ich ohne ein Du und es gibt kein Du ohne ein Ich. Aus dieser Pointierung lässt sich ableiten, dass sich der Fokus der Beziehung gegenüber anderen Konzepten weg vom einzelnen Individuum hin zum erwähnten gemeinsamen bewegt. Während der „circle talks“ wurde ich quasi zur buddhistischen Nonne und die jungen Frauen bekamen meine Prägungen ab. Diese Feststellung machte deutlich, dass im „circle talk“ das Gewicht auf mehreren anderen Elementen liegt als nur dem der Sprache.
Ein wichtiges Element für ein echtes Gespräch ist die wesenhafte Hinwendung.
Für Buber ist es der echte Dialog, in dem jeder Teilnehmer den oder die anderen in ihrem Dasein und Sosein wirklich meint und sich ihnen in der Intention zuwendet, dass sich lebendige Gegenseitigkeit stiftet zwischen ihm und ihnen. Buber sieht die Existenz des Menschen in der Beziehung. Dabei unterscheidet er zwei voneinander grundsätzlich verschiedene: die Ich-Es- und die Ich-Du-Beziehung. Die Ich-Es-Beziehung ist die normale, alltägliche Beziehung des Menschen zu den Dingen, die ihn umgeben. Der Mensch kann auch seinen Mitmenschen wie ein Es betrachten und behandeln – und das tut er meistens. Er sieht ihn distanziert, kühl und nimmt ihn wie eine Sache, ein Stück Umwelt wahr. Eine Ich-Du-Beziehung geht der Mensch mit seinem innersten und gesamten Wesen ein. In einem echten Gespräch tun das beide Partner. Das Charakteristische an Ich-Du-Beziehungen ist, dass in ihnen nur die wirkliche Begegnung geschieht, wenn alles zurückgelassen wird, was an Vorverständnis mitgebracht wird, wenn alle Reserviertheit aufgegeben wird, wenn man sich auf den anderen einlässt und einen wirklichen Dialog mit ihm führt.
Entscheidend bei der Hinwendung zum Gegenüber ist, dass sie in aller Wahrheit geschieht, als Hinwendung des Wesens also, was ein Ja zum Menschen bedeutet, jedoch nicht automatisch das Einverstanden sein mit allem, was dieser glaubt.
Auf meine Frage, warum sie sich entschieden hatten, ein Leben als Nonne zu führen, antworteten einige, weil sie sich von klein auf dazu berufen fühlten. Eine Frau hatte sich vor die Wahl gestellt gesehen, entweder ein Leben als Dienerin eines Mannes oder als Dienerin Buddhas zu führen. Für eine Teilnehmerin galt es als Pflicht, die Familientradition weiterzuführen. Für die meisten war es die einzige Aussicht auf Bildung. Sie wollten später Lehrerinnen werden und das, was sie hier bekommen, weitergeben. Allen war es ein Anliegen, später einmal in der Lage zu sein, Bedürftigen zu helfen.
Ein „circle talk“ kann innerhalb der Hierarchie einer Ordensgemeinschaft nur funktionieren, wenn die Person, die „die Verantwortung trägt“, seinen Einsatz unterstützt und ihm zustimmt.
Die älteste indische Nonne, die 33-jährige Tenzin Dechen, hatte Karma Lekshe Tsomo, die Skeptikerin, wissen lassen, sie sei nun seit zwanzig Jahren Nonne und habe viele Lehrer kennengelernt auf ihrem Weg, doch noch nie sei jemand gekommen, der sie angeleitet hätte, aus dem Herzen zu sprechen. Venerable Lekshe erkannte schließlich im „circle talk“ ein Feld, um die Fähigkeit zu verbessern, sich kurz zu fassen und Worte zu finden, die die Geschichten und Aussagen der jüngeren Nonnen bekräftigten.
Die älteren Nonnen wollten mit der Dialogmethode lernen, miteinander zu sprechen. Die Frauen aus Kinnaur sind offensichtlich mehr daran gewöhnt, sich in Englisch auszudrücken als die Frauen aus Spiti. Aber es stellte sich bald heraus, dass dies eher ein Vorteil war, denn so ungewohnt es für sie war, über sich selbst zu sprechen, so schüchtern waren sie bis zu einem gewissen Grad. Obwohl sie sich in den täglichen Debatten sogar gegenseitig anbrüllten, war es für sie neu, einfach über ihre eigenen Gefühle zu sprechen. Während der fünf Wochen, die ich dort war, entwickelten sich langsam und behutsam tiefe und berührende Gespräche über ihre Visionen und Träume in einem Leben als Nonne. Sie sprachen über sich selbst und ihre Familien, die sie sehr lieben, und teilten ihre Freundschaften mit mir. Es war ein Austausch unter Freunden, ein Geben und Nehmen von Geschenken.
Fasse dich kurz
Die vierte Komponente war, „sich knapp auszudrücken“. Es ging darum, sich sowohl bewusst zu sein über den begrenzten Sprechraum als auch über den Raum für den Ausdruck der anderen. Nur die Worte zu verwenden, die notwendig waren, um ihre Geschichte zu vermitteln, war eine zusätzliche Herausforderung. Ich unterbrach sie nicht gern, auch wenn jemand dabei war auszuufern. Es freute mich zu sehen, dass ein Ventil weg war und mit Druck lange zurückgehaltene Worte hinausströmten.
Tenzin Dechen hatte mit ihrem fließenden Englisch ihre Chance gepackt. Sie liebte es, Nonne zu sein und dieses Leben zu führen. Alle im Haus seien ihre Freundinnen. Doch sei es ihr manchmal zu viel der Bürde. Ihr fehlten Gespräche solcher Art und sie habe sich diese lange Zeit gewünscht. Sie sei sicher, dass sie mich gerufen habe, und sei froh, dass ich nun hier sei und wir zusammensitzen konnten, um endlich zu reden (in der Zwischenzeit hatte ich von meinem Traum erzählt). Wir beide dachten an Magie und mussten schmunzeln. Sie hätte gar nicht gewusst, dass es wirklich so etwas gebe. Das Zusammenleben nach den Ordensregeln zu organisieren, sei für sie in Ordnung. Manchmal wisse sie nicht, ob es so richtig sei, ob sie auf dem richtigen Weg seien. In der Anwesenheit von Venerable Lekshe fühle sie sich inkompetent und unbeholfen. In solchen Momenten frage sie sich, wie sie in diese Rolle geschlüpft sei. Sie wolle es doch nur gut machen. Sie fühle sich aber sehr allein gelassen. Sie konnte reden und reden. Es tat der Gruppe gut, ihrer Autorität mit dem Herzen zuzuhören. Als sie den Stab in die Mitte zurücklegte, herrschte eine beklemmende Ruhe. Die lange Stille und die Energie im Kreis schienen ihre Rede aufzufangen und in der Schwebe zu halten. Es war etwas ausgesprochen, etwas, das lange Zeit unter ihnen geschmort hatte. Die jüngeren Schwestern hatten ihr diese Gefühle der Unsicherheit nie angemerkt. Nun waren sie an der Reihe. Niemand wurde genötigt, zu sprechen. Einigen fiel es schwer sich in Englisch auszudrücken. Sie redeten in ihrer Ursprungssprache. Die Worte verstand ich nicht, doch das Wohlwollen und die Unterstützung, die ich nun von allen Seiten wahrnahm, berührten mich tief. Eine Leichtigkeit floss durch den Kreis und verwandelte die Bedrücktheit in ein heiteres Zusammensein.
«Echt kann das Gespräch ebenfalls nur sein, wenn die am Gespräch Beteiligten auf Rechthaberei verzichten. Das echte Gespräch ist also ein Prozess, in dessen Verlauf Bedeutendes zu Tage treten kann.» (Buber, 2009, S. 293)
Um des Vertrauens und des Respekts Willen war die Vertraulichkeit die fünfte Komponente. Was innerhalb des Kreises gesagt wurde, blieb innerhalb des Kreises.
Neben der wesenhaften Hinwendung und der rückhaltlosen Beteiligung am Gespräch soll auch Abstand vom Scheinen-Wollen genommen werden. Wer im echten Gespräch mehr Wert auf die eigene Wirkung legt, zerstört es eher.
Für die Nonnen war dies ein völlig neuer Aspekt. Ihr Bestreben galt vor allem dem, eine gute Nonne zu sein. Es war fast unmöglich, dieses Bild in Frage zu stellen. Zu Beginn hatte ich großen Respekt davor, weil ich befürchtete, die Glaubensrichtung der Nonnen zu beeinflussen und dadurch mehr Unruhe als Ordnung zu stiften. Dies war jedoch keineswegs der Fall, da die Nonnen es gewohnt waren, in ihren Debatten bestimmte Aussagen auf einen tieferen Wahrheitsgehalt herunterzubrechen. Sie wollten jene Faktoren, die zu Unstimmigkeiten unter ihnen führten, ergründen und verstehen.
Grundlegend geht es in der von Buber entworfenen dialogischen Haltung darum, im Gegenüber einen Ebenbürtigen zu sehen, der die Beziehung und somit das Wahrnehmen des eigenen Subjekts – des Ichs – erst ermöglicht.
Die Nonnen begannen zu verstehen, dass das Wesen menschlicher Kommunikation nur zum Teil Informationsvermittlung ist. Es geht immer auch darum, Beziehung und Bedeutung zum Ausdruck zu bringen. Jedes Gruppenmitglied stellt mit seiner Aussage etwas dar und will etwas bewirken.
Somit konnten sie den „circle talk“ als einen Ort betrachten, an dem Magie, Gemeinschaftsgefühl und Beziehung entstehen können. In diesem Sinne löste sich meine distanzierte Rolle der kundigen Lehrerin auf einer gewissen Ebene mehr und mehr in Luft auf. Es entsprach nicht einem Gespräch auf Augenhöhe, aber folgendes Erlebnis wurde möglich.
In einem wesentlichen Teil unserer Gespräche muteten wir einander unser Unbehagen über den Zustand der Welt zu. In Bodhgaya ist die unvorstellbare Armut an jeder Ecke so sichtbar, dass es kaum Vergnügen bereitet, einfach durch die Straßen zu schlendern und einzukaufen. Bei jeder Rupie, die ich für mich selbst ausgab, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Andererseits wurde ich von den Bettlern verfolgt, wenn ich einem etwas geschenkt hatte. Es war kaum auszuhalten. Zeitweilig fürchtete ich, in eine tiefe Depression zu geraten auf Grund der Ohnmacht, nichts tun zu können.
Als ich es in der Gruppe aussprach und darüber weinte, fühlte ich, dass sich die jungen Frauen durchaus des Elends außerhalb der Klostermauern bewusst waren. Die gemeinsame Betroffenheit trug den Schmerz weit hinaus über das kleine Ego und hatte Konsequenzen, die jenseits meiner Vorstellungen von Recht und Unrecht lagen. Ich lernte, den Schmerz anzuerkennen, indem ich darüber sprach. Darin wandelte er sich zu tiefem Mitgefühl mit allem, was wir nicht verstehen und meinen, nicht ertragen zu können.
Diese Einsicht ermöglichte mir, mich für ein größeres Verständnis des „circle talks“ zu öffnen. Der Kern dieser Erkenntnis lag darin, die Welt in einem größeren Kontext wahrzunehmen. Unsere Stellung in der Welt verändert sich grundlegend, wenn wir sie als ein lebendiges System verstehen und uns selbst als einen Teil eines im weitesten Sinne lebendigen Erdkörpers definieren. Diese Einstellung mag – angesichts der herrschenden Probleme in der Welt – visionär und verträumt wirken, mag aber auch eine Folge von interkulturellem Dialog sein.
Die Atmosphäre in den Wänden des Gebäudes vertrieb die Kälte und andere Unannehmlichkeiten, die mich während der ersten Tage meines Aufenthalts blockiert hatten. Als die Sonne die steif gefrorene Stadt wieder zu erwärmen begann, klangen die Stimmen der Nonnen im Garten zusammen mit dem Gezwitscher der Vögel wie Musik. Das Kloster ist ein kleines Paradies am Ufer des ausgetrockneten Flusses. Es bedeutete Erholung nach Ausflügen in die Stadt, die von bitterer Armut und Schmutz geprägt war. Die Nonnen sind leuchtende Perlen im Dunst Indiens.
Woche fünf
Der große Kreis
Die vergangenen Wochen dienten der Vorbereitung des Höhepunkts unseres gemeinsamen Weges. Wir versammelten uns endlich im grossen Kreis. Die vier Gruppen, die bislang getrennt Vorbereitungen getroffen hatten und nun wussten, worum es ging, kamen in der letzten Woche meines Aufenthaltes viermal in dieser Formation für eine gute Stunde zusammen.
Die erste Runde begannen wir mit dem theoretischen Zusammenfassen des Gelernten. Die Nonnen benutzten folgende Worte in ihrem gebrochenen Englisch:
Um einen „circle talk“ einzuberufen, muss jemand ein Thema oder eine Mission haben. Diese Person ist die Hüterin des Kreises. Sie soll sich um eine Struktur kümmern und eine Einladung aussprechen. Nachdem sich die Personen in die vorgegebene Struktur auf einem Teppich um ein angenehm gestaltetes Zentrum herum eingelassen haben, wird die Gruppe begrüßt. Danach werden Vereinbarungen getroffen und es erfolgt eine Check-in-Runde. Wichtig ist, aus dem Herzen zu sprechen und mit dem Herzen zu hören. Man soll dann sprechen, wenn man an der Reihe ist, und lange Reden soll man vermeiden.
Ich schlug nach dieser Einführung vor, zur Einstimmung einen tibetischen Text zu chanten. Das entsprach ihren Gewohnheiten, weil sie das vor jedem Essen und vor jeder Zusammenkunft taten. Es war jedes Mal sehr berührend.
Der Mittelpunkt unseres Kreises war geschmückt mit Blumen und Buddha-Figuren in jede Himmelsrichtung. Da alle Energien durch die Mitte hindurchgehen, hielt ich die Figuren für geeignet, weil Buddha die Kultur ehrte und symbolisch die Absicht der Gruppe repräsentierte.
Das Chanten ließ die Energie fließen und versetzte uns in die richtige Stimmung.
Weil es ein neuer Kreis war, begann ich mit meinem Namen und einer kurzen Absichtserklärung. Die Nonnen taten es mir gleich, drückten ihre Freude aus und sprachen über ihre Hoffnungen für das Treffen. Wenn eine Person nicht bereit war zu sprechen, wurde ihr zum Schluss eine weitere Gelegenheit angeboten. Das Check-in half den Frauen, sich auf den Dialog einzustellen und erinnerte alle an ihr Engagement für die geäußerte Absicht. Dies stellte sicher, dass sie sowohl im Geist als auch im Körper wirklich präsent waren. In der Check-in-Runde bat ich die Teilnehmerinnen, darauf zu achten, ob sich schon ein Thema herausschälen wollte.
Dann war Stille. Für alle war es ungewohnt, in einem so großen Kreis zu sitzen. Die vier „disciplin nuns“ waren anwesend, was es nicht einfacher machte. Ich hatte noch einmal erklärt, dass ich nur als Begleiterin hier sei. Meine Kollegin aus Australien, die unbedingt teilnehmen wollte, durchbrach schließlich die besonnene Zurückhaltung mit einer Frage.
In wessen Verantwortung liegt das Wohlergehen dieses Klosters?
Immer noch herrschte beklemmende Stille und ich fürchtete, dem peinlichen Zusammensein ein baldiges Ende bereiten zu müssen, doch dann sprach Tenzin Dechen. Ihrer erfrischenden Ehrlichkeit war es zu danken, dass dieses Gespräch zu der gewünschten Aussprache unter den Nonnen führte, auf die wir die ganze Zeit hingearbeitet hatten. Ich kann mich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern, doch die Stimmung, die sie in die Runde brachte, bereitet mir heute noch Gänsehaut. Für ihre jungen Jahre sprach sie mit einer bemerkenswerten Klarheit und Herzlichkeit über ihre Aufgabe in diesem Kloster und von der Verantwortung, die sie nun bereit sei zu tragen. Mit ihrem Statement hatte sie einen Stein gesetzt, dem sich die vier „disciplin nuns“ nur noch ergeben konnten. Tenzin Dechen hatte die Verantwortung für alle Konflikte zu sich genommen und sich entschuldigt, keine bessere Leiterin zu sein. Dies hatte den Stein ins Rollen gebracht. Danach folgte ein Eingeständnis auf das andere. Auch hier verstand ich sprachlich nicht alles, da vieles in ihrem ethnischen Dialekt gesagt wurde.
Durch die Eingeständnisse wurde ein ernsthafter Raum geschaffen, der allen Mitgliedern einen freien und tiefgreifenden Austausch ermöglichte, eine Vielfalt von Ansichten respektierte und die Verantwortung für das Wohlergehen der Gruppe mittrug. Ein vielversprechender Anfang für zukünftige „circle talks“ im Sanghamitra Institut.
Die „elder nuns“ willigten nämlich ein, den „circle talk“ fest in ihren Alltag zu integrieren.
Es war wichtig, jeder Person noch ein paar Minuten Zeit zu geben, um zu kommentieren, was sie gelernt hatte oder was in ihrem Herzen und ihrem Geist bleiben sollte, wenn sie den Kreis verließ.
Der Check-out und die Verabschiedung zogen sich diesmal in die Länge. Die Wirkung dieser Runde war reinigend und die Stimmung wohlwollend, man hätte noch lange darin verweilen können.
Selbst während ich diese Zeilen schreibe, Monate nach meiner Abreise, ist mein Herz noch bewegt. Ich vermisse sie.
Kapitel 3
Schlussfolgerung
Die Absicht des „circle talks“ bestand darin, durch den Austausch im Kreis eine neue Verbindung unter den Nonnen aufzubauen, eine Verbindung, die auf wirklichem Einfühlungsvermögen durch Zuhören basierte. Die neugewonnene Erkenntnis, dass auch Autoritäten nicht einfach Bescheid wissen, sondern auf gemeinsames Voranschreiten angewiesen sind, sollte alle ermutigen, sich einzubringen und mitzudenken.
Der „circle talk“ steht ihnen nun als Mittel für bewusste Kommunikation, Reflexion und Entscheidungsfindung zur Verfügung. Die Möglichkeit, den Kreis zur Erforschung von Konflikten einzuberufen, stellt sie vor neue Herausforderungen. Die Frauen haben gelernt, einen Raum zu schaffen für die Untersuchung eines Problems. Mehreren Perspektiven zuzuhören, ohne gleich eine Entscheidung treffen zu müssen und ohne mit allem einverstanden zu sein, offenbarte sich als neue Disziplin im Kloster.
Auch wenn die „circle talks“ dem Anspruch eines Dialogs nach Bohm nicht unbedingt gerecht wurden, hatten sie sich doch als ein äußerst wirksames Mittel entfaltet, das starke und intime emotionale Reaktionen sowohl bei denjenigen, die sich mitteilten, als auch bei denjenigen, die zuhörten, hervorrufen konnte. Die „circle talks“ produzierten bedeutungsvolle Ergebnisse im Bereich der persönlichen Entwicklung, der Stärkung der Empathie innerhalb der Gruppe und der Entwicklung emotionaler und kommunikativer Kompetenzen.
Mit dieser Form des „circle talks“ wurde in der Gruppe innere Arbeit geleistet. Es war ein hoher Anspruch, denn die Nonnen hatten keine therapeutische Erfahrung. Sie hatten auch keinen theoretischen psychologischen Hintergrund, auf den sie zurückgreifen konnten. Sie waren es gewohnt, Antworten oder Ratschläge zu erhalten oder von anderen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der „circle talk“ war für sie ein ungewöhnlicher Ort, an den sie eingeladen wurden, den Mantel, den sie gewöhnlich trugen, für eine Weile abzulegen, ihre Rolle, die sie spielten, zu hinterfragen und es zu wagen, sich mit einer eigenen Identität zu verbinden, ein wenig tiefer in ihr Selbst zu versinken, indem sie sich getrauten, sich auf neue Weise zu sehen.
Trotz seiner Einfachheit ist der „circle talk“ eine Praxis, die eine genaue Vorbereitung erfordert und nicht dem Zufall überlassen werden darf. Der Ablauf der Sitzung, die Form der Durchführung und die Präsentation der Absichten sollte gut vorbereitet werden. Die Aufgabe der Verwaltung des Zeitrahmens und der Beobachtung der Gruppendynamik sollte bei jedem Zusammentreffen einer bestimmten Person übergeben werden. Ich forderte die älteren Nonnen auf, sich in diesen Rollen in Zukunft abzuwechseln. Jeder „circle talk“ wird wahrscheinlich seine Vereinbarungen überdenken und Zeit damit verbringen wollen, sie in eigene Worte zu fassen und Vereinbarungen hinzuzufügen, die ihrem Zweck entsprechen.
Die Nonnen erkannten das Potenzial eines „circle talks“ und sie erkannten auch, dass es sich leicht vermindern lässt, wenn eines der Elemente vernachlässigt wird. Sie erfassten auch die Tatsache, dass sich die Praxis der „talks“ nicht eignete für Diskussionen und allgemeinen Austausch.
Ich kann nur hoffen, dass die Nonnen nicht auf die Idee kommen, den „circle talk“ in eine dogmatische Form zu pressen, sondern dass sie lernen, ihren eigenen Stil zu entwickeln.
Die Kreisstruktur hat ihre Stärke und Anpassungsfähigkeit von den ersten Lagerfeuern unserer Vorfahren bis zum globalen Zeitalter erhalten. Jeder Kreis trägt durch die Praktiken des Zuhörens mit dem Herzen und des Sprechens aus dem Herzen zu einer lang gehegten menschlichen Tradition bei, in welcher Kultur auch immer.
Der „circle talk“ ist eine unvoreingenommene Begegnung unter verschiedenen Wesen. Sprache, Kultur, Religion, Eigenart und Charakter sind an sich Beiwerk, die weder als zu geringfügig noch als zu bedeutend erachtet werden sollten. In einem gelungenen „circle talk“ treffen Herzen auf Herzen und die Teilnehmer erkennen, dass Buddhisten oder Christen, gebildet oder ungebildet, jung oder alt, arm oder reich, in erster Linie Menschen sind, die eine gemeinsame Sprache sprechen. Die Sprache von Herz zu Herz.
Der kulturelle Wandel, den ich mir wünsche, würde voraussetzen, dass Menschen in der Lage sind, die gegebene Wirklichkeit zu reflektieren und sie in der Hinwendung zum Wesen der anderen zu verstehen.
Rolle als Dialogbegleiterin
Muss die Leitung von „circle talks“ mit buddhistischen Nonnen über besondere interkulturelle Kompetenzen verfügen, um angesichts der Fülle der Problemstellungen, Fallstricke und Gefahrenzonen zu bestehen? Offensichtlich benötigt eine Gruppe eine Leitung, die in der Lage ist, diese zu erkennen und wenn nötig, offenzulegen. Es zeigte sich, dass eine Person mit Spürsinn für das Wesentliche, geschult in der Gestaltung von Gruppenprozessen und einem Koffer voller Ideen für die Moderation, eine gute Voraussetzung für das Gelingen war.
Als Gruppenleiterin befand ich mich erst in einer Doppelrolle. Einerseits war ich Mitglied der Gruppe wie alle anderen auch. In diesem Sinne beeinflusste jede meiner Regungen den Gruppenprozess, wie ich auch selbst beeinflusst wurde. Auf der anderen Seite nahm ich eine herausragende Rolle ein und unterschied mich von den anderen. Die Teilnehmerinnen beobachteten mich und jede meiner Handlungen besaß ein besonderes Gewicht. Sie schafften sich anhand der Art und Weise ein Bild von meiner Persönlichkeit und ausgehend von diesem Bild schrieben sie mir Kompetenz zu, entwickelten Vertrauen und schenkten meinen Aussagen Glaubwürdigkeit.
Die Wichtigste jedoch ist die Ehrlichkeit über die Gefühle, die während der Gesprächsrunden auftauchen, die wir als Begleitung in uns wahrnehmen und sich kaum von denen der anderen unterscheiden. Es geht um das Erkennen des Gruppengefühlsraums und nötigenfalls um die Fähigkeit, diesen zu beschreiben.
Als Leitung wirkte ich im Verbund mit meiner Persönlichkeit und meinen Verhaltensweisen. Die Intervention wirkte quasi durch mich als Person hindurch. Ziel dieser Führungsrolle war allerdings nicht, inhaltlich auf das Gespräch Einfluss zu nehmen. Stattdessen lag die Hauptaufgabe darin, das Gespräch anzustoßen und die Einhaltung der vereinbarten Gesprächsregeln zu überwachen.
Ich konnte in diesen Gesprächsrunden sehr viel lernen. Mit meinem Vorgehen konnte ich eine Atmosphäre von Wahrhaftigkeit und Lebendigkeit fördern oder behindern. Selbstwahrnehmung und Sensibilität für die Wirkung auf andere sind daher wichtige Voraussetzungen. Die Leitung sollte sich all der aufgeführten Prozesse bewusst sein und sie entsprechend steuern können, sowohl durch das Angebot von Struktur als auch von prozessbegleitenden Interventionen. Gleichzeitig muss sie mit ihren eigenen sowie mit den Gefühlen der anderen umgehen können. Bei Turbulenzen und Irritationen sollte sie sich durchzusetzen vermögen und den Überblick bewahren können.
Die Liebe als Hinwendung zum Wesen dessen, was uns alle verbindet, offenbarte sich als die größte Chance für ein echtes Gespräch.
Ich habe jede Stunde unserer „circle talks“ genossen, es wurde nie langweilig.
Literatur
Bohm, David (1998). Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Stuttgart: Klett-Cotta.
Buber, Martin. (2009). Das dialogische Prinzip. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
Hartkemeyer, Martina und Johannes und Dhority, Freeman (1998). Miteinander Denken. Das Geheimnis des Dialogs, Klett-Cotta, Stuttgart
Zimmermann, Jack und Coyle, Virginia (2010). Der große Rat, Arbor, Freiburg
verfasst von Samuel Widmer
Es ist an der jungen Generation von heute, die Welt zu wandeln. Ihr, die jungen Menschen von heute, seid privilegiert vor allen anderen Menschen, die je diese Erde bevölkert haben. Zum ersten Mal in der Geschichte besitzt eine einzige Generation - die eure! - den Schlüssel zur größten Herausforderung unserer Spezies, seit sie sich stolz Homo sapiens
verfasst von Cornelia Principi 2004
Jede Generation von Jugendlichen scheint in irgendeiner Form gegen die von der Gesellschaft geschaffenen Grenzen aufzubegehren. Gestern war es Hip Hop, vorgestern war es die Technoszene, in den achtziger Jahren nannten wir es Jugendkrawalle und in den Sechzigern versuchte sich eine neue Ideologie von Liebe und Freiheit auszubreiten. Es sind Keime von Versuchen, die Welt zu verändern.
verfasst von Cornelia Principi 2005
Beim Zusammentreffen einer Gruppe scheint sich ein unsichtbares Band um die Menschen zu legen, dessen man sich bis zum Ende des Treffens nicht entledigen kann. Das bekannte Phänomen der Gruppendynamik ist für alle Teilnehmer spürbar. Es muss ein Geheimnis hinter diesen wohlbekannten Erscheinungen, die eine Gruppe bewegen, aufwühlen oder motivieren können,
Ein Roman für junge Menschen, die den Mut haben, auf ihr Herz zu hören.
Rosalie ist 17 als sie sich von ihren Freunden zu einem Anschlag auf die Schweizerischen Bundesbahnen überzeugen lässt. Die fünf Freunde suchen einen Weg, die Gesellschaft aufzurütteln und auf die globale Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, von der jeder einzelne in den westlichen Gesellschaften profitiert und die Millionen Menschen auf der anderen Hälfte der Welt in Armut bindet.
Hier entwickelt die Geschichte eine eigene Dynamik. Nicht nur weil fast alle Beteiligten sich den Aufenthalt in der Karibik anders vorgestellt haben: Ihre Vorstellungen von der Wirklichkeit werden auf eine Probe gestellt. Es bleibt für Rosalie weit mehr als die Erkenntnis, dass sich Ungerechtigkeit anders als mit Gewalt lösen lässt…
Man kann den anderen die Schuld geben, dem Krieg, den Drogen, der Armut oder dem Unterbewussten. Die grundsätzliche Übereinstimmung in dieser Geschichte liegt darin, dass allein Menschen unsere Probleme verursachen und es nur eine Antwort darauf geben kann.